Archive – You All Look the Same to Me

Meine Geschichte zum Album
Es begann mit einem Hinweis im lokalen Sender der Öffentlichrechtlichen. Man sprach über diese neue Band und ihr Konzert in Berlin, faselte etwas vom psychedelisch-progressiven Stil von Bands wie Pink Floyd. Was in dem Ausschnitt zu hören war, klang interessant. Wenig später erzählte mir ein Kollege über den Fernsehbeitrag. Ich begann zu suchen, doch es war nicht so einfach, an eine CD oder offizielle Downloads heranzukommen. Archive war, obwohl You All Look the Same to Me das dritte Album der Band war, in Deutschland noch ziemlich unbekannt.

Irgendwann hat es dann doch geklappt und ich war ziemlich angetan, obwohl es mir an der Fantasie fehlt, in Archive Züge des psychedelisch-progressiven Stils zu erkennen. Es gibt hier und da Soundschnipsel, die meine ich zu kennen. Mehr Gemeinsamkeiten mag ich nicht zu erkennen. Archive ist für mich Musik, die ich alleine hören und genießen möchte. You All Look the Same to Me ist in seiner Gesamtheit ziemlich beeindruckend. Und doch komme ich mit den musikalischen Arbeiten nach Craig Walker besser zurecht. Hervorzuheben ist Controlling Crowds. 2009 gastierte Archive in Berlin und ich war auf diesem Konzert.

Archive? Wer ist Archive? Den einen oder anderen Titel kennt man vielleicht aus der TV-Werbung. Gelegentlich wird Archive auch als Hintergrundmusik in Dokumentationen verwendet. Archive war auf ARTE zu sehen und hat Soundtracks für Michel Vaillant und Wingwomen veröffentlicht. Was mir persönlich gefällt, sind die Live-Veröffentlichung, leider immer nur als Download. Nachdem die Band You All Look the Same to Me und weitere Veröffentlichungen auf Vinyl herausgebracht hat, hoffe ich, dass auch ein Livekonzert den Weg auf Schallplatte findet.

Kurzrezension
Mit dem dritten Album You All Look the Same to Me vollzieht die britische Band Archive einen radikalen stilistischen Wandel. Sie bewegen sich weg vom Trip-Hop der Anfangstage, hin zu einem atmosphärischen Mix aus Progressive Rock, Art Rock und melancholischem Alternative. Hervorzuheben ist der 16 minutige Titel Again, der mit seiner emotionalen Tiefe und musikalischen Weite an Pink Floyd erinnert, ohne eine bloße Kopie zu sein. Mit seiner wandelbaren Stimme verleiht Sänger Craig Walker den Titeln eine intensive, fast zerbrechliche Note, sei es im düsteren Numb oder dem zarten Goodbye. Die Produktion ist detailverliebt und organisch: Streicher, elektronische Klangflächen und sägende Gitarren verschmelzen zu einem theatralischen Sound, der Grenzen zwischen Genres sprengt und die Filmmusik im eigene Kopfkino bildet. You All Look the Same to Me ist ein mutiger, atmosphärischer Neustart, der sowohl Prog-Fans als auch Liebhaber melancholischer Klangwelten begeistert.

The Art of Noise – Noise in the City

Meine Geschichte zum Album
Ich kann mir nicht vorstellen, dass The Art of Noise eine musizierende Gruppe Menschen darstellt, die gemeinsam auf der Bühne steht und Musik für ihre Zuhörerschaft wiedergibt. Es muss diesen Moment dennoch gegeben haben, denn er ist festgehalten auf dem Langspieler Noise in the City, Untertitel Live in Tokyo, 1986.

Zugegeben, meine Erwartungshaltung war mit dem Kauf der schwarzen Scheibe nicht sonderlich so groß. Ich sehe The Art of Noise als ein Projekt und nicht als eine stadienfüllende Festivalband. Wenn, dann eher als ein Überraschungsgast in netter Clubatmosphäre und ein paar andere Musiker greifen mit in die Tasten oder zupfen die Saiten. Ich meine vor Jahrzehnten im Fernsehen einen Mitschnitt vom Musikfestival in Montreux gesehen zu haben, wo nicht erkennbare Wesen vom Silberling The FON Mixes den Titel Instruments Of Darkness (All Of Us Are One People) zum Besten gaben. Der Moment war auch meine erste Begegnung mit The Prodigy, denn Instruments Of Darkness (All Of Us Are One People) enthält den Subtitel The Prodigy Mix.

Im Zusammenhang mit der Fernsehaufzeichnung hatte sich der Moderator damals dahingehend geäußert, das The Art of Noise keine richtige Band ist. Damals noch unwissend, hat die Aussage meine Denke wohl bis heute beeinflußt, was meine Zuneigung zur Musik von The Art of Noise keinen Abbruch tat. Wenn man weiß, dass Trevor Horn anfänglich seine Finger im Spiel hat und sich dann die Liste der Musiker der Studioalben anschaut, tut sich die eine oder andere Querverbindung auf. Wenigstens waren beim aufgezeichneten Livekonzert die Musikarbeiter Anne Dudley, Gary Langan und J.J. Jeczalik dabei, für mich eine nicht unwichtige Tatsache.

Kurzrezension
Noise in the City ist ein nostalgisches Livedokument der britischen Avantgarde-Gruppe The Art of Noise, das am 8. August 1986 in Tokio aufgenommen wurde. Die Veröffentlichung erfolgte erst 2021. Die Aufnahme liefert den Beweis, wie das Trio Anne Dudley, Gary Langan und J.J. Jeczalik den samplebasierten Kompositionen Lebendigkeit einhaucht und in beachtlicher Weise auf die Bühne bringt. Besonders beeindruckend ist, wie wenig auf vorprogrammierte Sequenzen zurückgegriffen wird: Die Fairlight-Synthesizer werden live gespielt, Stücke wie Paranoimia, Legs und Moments in Love klingen authentisch und gut improvisiert. Zusätzliche Musiker und der Backgroundgesang der The Noisettes verleihen dem Sound Tiefe und eine beinahe theatralische Qualität, ersetzt der Gesang Instrumentalparts. Noise in the City ist kein steriles Live-Album, es ist ein echtes Zeitdokument und der Beweis, wie visionär und musikalisch vielseitig The Art of Noise war.

Seal – Seal (I)

Meine Geschichte zum Album
Wie stiftet ein Künstler Verwirrung? Er benennt sein erstes Album nach seinem Künstlername. Wie stiftet ein Künstler richtig Verwirrung? Er benennt auch sein zweites Album nach seinem Künstlernamen. Bei Seal war die PR-Abteilung der Plattenfirma ZTT so kreativ. So gibt es eben Seal (I) aus dem Jahre 1991 und Seal (II) aus dem Jahre 1994. Zumindest sind die Albencover unterschiedlich. Wäre das nicht der Fall, ist die Verwirrung nahezu perfekt.

Da sind Killer, Crazy und Future Love Paradise. Klammere ich Killer aus, ein Titel, der ursprünglich von Adamski produziert wurde, sind die anderen beiden Titel für mich typische Trevor Horn Hymnen. Mit etwas Fantasie spannt der Soundteppich eine Brücke zu den anderen Krachern, die Trevor Horn im Laufe der Zeit produziert hat: Franky goes to Hollywood, The Art of Noise oder t.A.T.u.. Es sind auf dem Album aber auch die Titel, die Seal zum musikalischen Frauenversteher und Schmusesänger machen. Den schmusigen und damit Antihöhepunkt liefert für mich Seal (II) mit Kiss from a Rose. Es dauert bis zum nächsten Album Human Being, und dem Titel Human Beings, bis ich wieder Freude an Seal gefunden habe.

Seal (I) habe ich mir als remastered Vinylversion mit allerlei Schnickschnack zugelegt. Vielleicht freunde ich mich irgendwann mit Seal’s sanften Tönen an. Denn keine Frage: Schmusesongs müssen sein. Seal hat aber für mich genug Wumms in seiner Stimme, die muss nicht primär in Schmuselieder gesteckt werden, zumal Killer und Crazy zeigen, wohin die Reise gehen kann.

Kurzrezension
Das Debütalbum Seal ist Seal’s kraftvoller Einstieg in die Musikwelt, der mit seinem einzigartigen Sound und emotionaler Tiefe überzeugt. Mit Hits wie Crazy, Killer und Future Love Paradise verbindet das Album elektronische Beats mit souligen Vocals und tiefgründigen Texten. Trevor Horn als Produzent verleiht den Songs eine einzigartige Klanglandschaft, die sehr mitreißend ist. Besonders beeindruckend ist die Vielfalt des Debüts. Es reicht von nachdenklichen Balladen bis hin zu tanzbaren Tracks. Seal zeigt seine Fähigkeit, komplexe Gefühle musikalisch auszudrücken, was ihn in der Folgezeit zu einem internationalen Star machte: Seine Songs stürmnen die Charts und die Musikwelt ist um eine Attraktion reicher.

Supertramp – Paris/Live in Paris 1979

Meine Geschichte zum Album
Mit dem Wiederaufflammen der Begeisterung für Musik auf Vinyl werden auch alte Scheiben neu aufgelegt. Das freut mich aus zweierlei Sicht: Manch alte Scheibe wird zu unanständigen Preisen auf dem Zweite Hand-Markt teuer vertickt und meist legen die Label bei Neupressungen eine zweite oder dritte Schallplatte mit zusätzlichem Inhalt bei. Irgendetwas muss ja den höheren Kaufpreis rechtfertigen. Dass die Neuauflage auch ein gelungener Griff in die Kloschüssel sein kann, zeigt mir das Live-Album Paris von Supertramp.

Es fällt mir schwer mit 100%iger Sicherheit zu sagen, wann und wo ich das Supertramp Livealbum Paris zuerst gehört habe. Ich meine, es muss zu Zeiten meiner Lehre ab 1980 gewesen sein. In der Lehrlingsklasse war ein großer Supertramp-Fan und ich hatte mir die Doppel-LP aus dem Westen ausleihen dürfen. Supertramp kannte ich nur aus dem Westradio und AMIGA brachte erst 1984 Breakfast in America in die Regale. Da war die Ära Roger Hodgson bei Supertramp bereits Geschichte. Ich war und bin eher ein Freund seiner poplastigen Lieder. Sei es drum, auf alle Fälle hat mich das Livealbum schwer beeindruckt und ich würde es noch heute zu meinen Favoriten zählen wollen. Es ist eine exzellente Mischung aus dem bis dahin veröffentlichten Schaffen von Supertramp.

Irgendwann hatte ich der Perle von dem Album erzählt und sie hat es über recordsale beschafft. Anfang 2025 tauchte eine Neupressung unter dem Titel Live in Paris 1979 auf. Aus dem Doppelalbum mit 16 Liedern ist ein Dreifachalbum mit 22 Titeln geworden. Grundlage sind auch hier vier Konzerte der Band Ende November/Anfang Dezember 1979 ist Paris. Zunächst habe ich das Mehr an Titeln nicht für vollgenommen. Es ist bei Neuauflagen nicht ungewöhnlich, dass ein Langspieler in eine Doppel-LP zerpflückt wird.

Gleichzeitig muss Live in Paris 1979 soundtechnisch überarbeitet worden sein, leider nicht zum Vorteil. Positiv geäußert trifft es verschlimmbessert wohl am ehesten. Ich hatte mich schon gewundert, dass sich eine Rezension zu Live in Paris 1979 über die Sangesqualitäten der Band negativ geäußert hat. Nach dem Hören von Live in Paris 1979 habe ich den verbalen Einwurf verstanden und finde ihn berechtigt. Irgendwie trübt Live in Paris 1979 meine Euphorie für das ursprüngliche Paris-Livealbum. Es ist ein Gefühl, dass ich nicht näher beschreiben kann. Kurz kam mir der Gedanke eines Jungenchor im Stimmbruch in den Sinn. Nicht immer ist es zielführend, nach Jahrzehnten des Daseins die neuste Technologie als Restauration getarnt auf ein bis dato Meisterwerk zu hetzen.

Während dieser Beitrag auf seine Veröffentlichung wartet, erfahre ich, das Rick Davies am 06. September 2025 verstorben ist.

Kurzrezension
Paris ist ein Livealbum, das Supertramp auf dem Höhepunkt ihrer Karriere einspielt. Aufgenommen im November 1979 im Pariser Pavillon de Paris, fängt es die Energie und Präzision der Band nach dem Erfolg des Albums Breakfast in America eindrucksvoll ein. Highlights wie School, The Logical Song und Dreamer zeigen die perfekte Balance zwischen Roger Hodgsons melodischem Gespür und Rick Davies’ jazziger Erdigkeit. Die Produktion ist für ein Live-Album erstaunlich klar, und die Arrangements bleiben nah an den Studiofassungen, ohne an Intensität zu verlieren. Paris ist kein wildes Live-Feuerwerk, sondern ein sorgfältig inszeniertes Konzertdokument, das elegant und detailverliebt ein Muss für Fans des klassischen Supertramp-Sounds ist.

Nina Hagen – Was Denn … ? The AMIGA Recordings

Meine Geschichte zum Album
Frisst der Zeitgeist hin und wieder einen Narren an Menschen, die betont laut, schrill und auffällig bunt sind? Wenn ja, ist Nina Hagen eine würdige Vertreterin solch einer Liebhabphase. Sie ist die Verfolgte, die aus der DDR fliehen mußte und erst im Westen musikalisch richtig aufdrehen durfte. Als deutsche Godmother of Punk hat sie, die permanente Reizüberflutung gehört zum Leben einmal angenommen, eine gewisse Karriere als Musikerin und Schauspielerin gemacht. Etwas launig betrachtet, würde ich ihr Gehabe und Getue als Fremdschämen verorten: Ich kann mit laut, schrill und bunt in Dauerberieselung nichts anfangen, weil sich heute jeder so definiert, um überhaupt gehört zu werden.

Wie es zu der ungebremsten Nina Hagen kommen konnte, die ihren bleibenden Eindruck verdient hinterlassen hat, zeigen die AMIGA Recordings der Scheibe Was Denn … ?. Selbstverständlich ist Du hast den Farbfilm vergessen und Wir tanzen Tango dabei. Mein Favorit ist Hatschi – Waldera. Die Scheibe bewegt sich leider nicht nur auf dem Niveau der von mir favorisierten Titel. Es geht auf dem schwarzen Rund typisch DDR, aber auch lauter und schriller zu, so als sei Nina Hagen die heimliche Tochter aus einer Liaison von Klaus Nomi und John Lydon.

Ich gebe zu, dass meine Geschichte zum Album nicht wirklich positiv klingt. Das liegt wohl daran, dass ich Nina Hagen eher als wandelnde Parodie statt als große ernsthafte Künstlerin betrachte. Leider. Ich denke wirklich, es wär mehr mit Nina Hagen drin gewesen. Da macht es für mich Sinn, warum AMIGA zu DDR-Zeiten kein Interesse an einem Nina Hagen Langspieler hatte: Es muss in einer Mangelgesellschaft nicht alles in Vinyl gepresst werden. Es werden sich sicherlich genug Leser der Plattenstube finden, die meine Sichtweise einfach falsch und total ungerecht finden. Und dann darf der Besucher seinen Frust noch nicht einmal in einem gehässigen Kommentar da lassen. Ja, das Leben ist hart, aber konkret.

Zum Abschluß kann ich auch etwas Positives zu Nina Hagen sagen: Das Beste, was Nina Hagen für mich hervorgebracht hat, ist Spliff. Ohne die ehemalige West-Nina Hagen Band gäbe es nicht die Spliff-Alben 85555, Herzlichen Glückwunsch! und Schwarz auf weiß. Da fällt mir auf, dass unter Sangeskünstler mit einer Karriere in gelegentlicher Schieflage My Way ziemlich beliebt ist: Frank Sinatra, Harald Juhnke, Elvis Presley, Sex Pistols, Nina Hagen

Kurzrenzension
Das Album Was Denn …? The AMIGA Recordings von Nina Hagen ist eine musikalische Zeitreise in die frühen Jahre der späteren Godmother of Punk. Die Zusammenstellung versammelt 15 Lieder aus ihrer Zeit in der DDR zwischen 1974 und 1976. Es ist eine Ära, in der Hagen noch als staatlich geprüfte Schlagersängerin galt. Die Songs zeigen ihre Vielseitigkeit: Vom satirischen Schlager Du hast den Farbfilm vergessen bis zu jazzrockigen Experimenten mit der Stern Combo Meißen. Besonders spannend ist, wie sie sich bereits damals mit Punk- und Funkelementen versucht, lange bevor sie diese Stile im weiteren Verlauf voll auslebte. Ihre Stimme ist wild, expressiv und voller Berliner Schnauze. Songs wie Rangehn oder Das kommt weil ich so schön bin sind musikalisch ein interessantes Hörerlebnis. Das Album ist mehr als eine Sammlung alter Aufnahmen. Es ist ein Stück (ost)deutsche Musikgeschichte, das zeigt, wie Nina Hagen schon früh Grenzen verschob und sich auf kein Genre festlegen ließ.